„Merret reicht‘s“ bei Tagung des Wirtschaftsministeriums
Abschied nehmen von Maßlosigkeit
Foto: Merret reicht‘s Die Sprecherin von „Merret reicht‘s“, Birte Wieda (Foto), hielt auf der Fachtagung des schleswig-holsteinischen Wirtschaftsministeriums einen Vortrag: „So geht es auf Sylt nicht weiter!“Heide/Insel Sylt. Vertreter des Sylter Bürgernetzwerks „Merret reicht‘s“ haben unlängst an einer Fachtagung des schleswig-holsteinischen Wirtschaftsministeriums zum Thema Tourismus teilgenommen. Bürgernetzwerkssprecherin Birte Wieda sagte auf der Tagung: „Wenn Sylt endgültig im Overtourismus versinkt, dann hat es nicht an uns gelegen.“ Sie betonte laut einer Pressemitteilung von „Merret reicht‘s“: „Wir Einheimischen sind nicht das Problem, wir sind die Lösung für einen zukunftsfähigen Tourismus.“ Sie und andere Vertreterinnen und Vertreter des Sylter Bürgernetzwerks hatten vor kurzem auf der Fachtagung „Tourismus im Einklang mit den Einheimischen“ der Fachhochschule Westküste, für einen „glänzenden Auftritt“ gesorgt, wie es in der Pressemitteilung heißt. Der Titel des Vortrags lautete: „Bürgerinitiativen verstehen und gemeinsame Chancen sehen“.
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In einem Handout wollte „Merret reicht‘s“ eindeutig klarmachen: „So geht es auf Sylt und in vielen anderen Destinationen im Norden mit der Art, wie touristische Entwicklung stattfindet, nicht weiter. Kurswechsel und in Zukunft Dialog auf Augenhöhe mit den Einwohnern, jetzt!“
Der Begriff „Versylterung“ war als Schlagwort für negativen touristischen Strukturwandel auf der Tagung der Fachhochschule (FH) Westküste in Heide oft präsent. Kritisiert wurde von dem Sylter Bürgernetzwerk, dass „von Sylt selbst bei dem hochkarätigen Event kein Touristiker zugegen“ war. Das Wirtschaftsministerium hatte die „Merrets“ als Initiatoren einer neuen, konstruktiven „Verweigerungskultur im Tourismus“ als Vortragende eingeladen. Wirtschafts- und Tourismusminister Claus Ruhe Madsen selbst stellte das Bürgernetzwerk durch die eindringliche Beschreibung seines Besuchs auf Sylt in seiner Begrüßungsrede vor.
Noch könne man nach Auffassung von „Merret reicht‘s“ leicht den Eindruck gewinnen, dass wirkliche Veränderung für den wichtigen Wirtschaftsfaktor Tourismus von Seiten des Landes gar nicht erwünscht sei. Frei nach dem Motto: „Ja, wir hören die Proteste der Einheimischen und deshalb müssen wir prüfen, wie wir die Tourismusakzeptanz wieder erhöhen.“ Doch sowohl der Deutsche Tourismusverband als auch das Deutsche Institut für Tourismusforschung FH Westküste räumten ein, „dass man das Destinationsmanagement zu lange mit einseitigem Fokus auf den Gast betrieben hat, ungeachtet der Bedürfnisse der einheimischen Bevölkerung.“
Dass es ohne einen grundsätzlichen Kurswechsel aber nicht mehr gehe, machte Birte Wieda mit ihrem Vortrag deutlich. Sie leitete ihre Forderung nach mehr Bürgerbeteiligung und Wandel mit einem Zitat aus dem Jahr 1996 ein – formuliert vor 26 Jahren von der Initiative „Rettet Sylt“ von Klara Enss: „Wenn wir Sylt retten wollen, bleibt uns nichts anderes übrig, als Abschied zu nehmen von der Maßlosigkeit der letzten 30 Jahre!“ hieß es schon damals.
Dass die Maßlosigkeit danach noch an Dynamik gewonnen habe, statt dass ihr politisch Einhalt geboten worden sei, belegte Birte Wieda mit Beispielen, Zahlen und den Schlussfolgerungen aus dem aktuellen Beherbergungsgutachten vom Mai 2022, auf dessen Umsetzung sie eindringlich pochte. Unterstützt wurde sie von Claudine Nierth, Bundesvorstandssprecherin des bundesweit arbeitenden Vereins Mehr Demokratie, der sich ebenfalls für mehr Bürgerbeteiligung im Tourismus ausspricht und das Verfahren eines Bürgerrats kurz erläuterte: „Wir haben es mit einem handfesten neuen Format zu tun, das es schafft, Polarisierung aufzuheben, Konfrontationen zu beenden und den lösungsorientierten Austausch untereinander zu fördern. Es geht um Akzeptanzbeschaffung und um das Ringen um die beste Lösung.“
Tourismus konsequent neu zu denken, laute das Ziel, heißt es in der Pressemitteilung weiter. Die „Merrets“ kamen nicht nur mit Forderungen, sondern mit einem Maßnahmenkatalog. Die „Westküstenallianz“, der Zusammenschluss von fünf Bürgerinitiativen der Region (Sylt, Föhr, Amrum, Sankt Peter-Ording, Büsum) hatte gemeinsam ergänzende Standpunkte zur aktuellen „Tourismusstrategie SH 2030“ entwickelt und formuliert, die als Flyer auf der Tagung an alle Teilnehmer und an den Wirtschaftsminister ausgehändigt wurden.
Die Botschaft von „Merret reicht´s-Aus Liebe zu Sylt“ blieb nicht ungehört. Der zweite positive Effekt: die weitere Vernetzung mit Experten. „Uns hat der Kurdirektor von Norderney beeindruckt, der ein Lebensraumkonzept zusammen mit den Bürgern verwirklicht, weil die Politik sich zunächst verweigerte. Bürgerbeteiligung ist der Weg, um veralteten Strukturen etwas entgegenzusetzen“, meint Birte Wieda resümierend.
Der Westküsten-Flyer zur Fachtagung ist unter www.merret-sylt.de im Download erhältlich.
Geschrieben von: Heiko Wiegand / veröffentlicht am: 13.12.2022