Im Gespräch über schwules Leben auf Sylt mit Bruno Schnabel
Ein Weg zur Normalität
Foto: Heiko Wiegand Im Gespräch mit der Sylter Zeitung über schwules Leben auf der Insel: Bruno Schnabel (r.) und sein Mann Hans Spors. Die beiden haben 2017 geheiratet.Insel Sylt. Sie ist erst wenige Tage Geschichte, die Fußball-Weltmeisterschaft in Katar. Das umstrittene Mega-Ereignis hat neben den Spielergebnissen und der Frage, wer von den besten Fußballern der Welt nun die allerbesten sind, ein Thema in den Fokus gerückt, das die Fifa-Verantwortlichen dort unter keinen Umständen haben wollten. Wie umgehen mit einem Gastgeberland, in dem homosexuelles Leben immer noch unter Strafe steht? Wo das Tragen von Regenbogenfarben auf den Shirts von Journalisten mindestens für eine Menge Misstrauen bei den Gastgebern gesorgt hat. Und die One-Love-Binde am Oberarm des Mannschaftskapitäns gar nicht ging.
Wir kamen mit Bruno Schnabel (76) ins Gespräch, der sich jahrelang für die Rechte von Schwulen und Lesben auf Landesebene eingesetzt hat. Er lebt mit seinem Mann Hans Spors (75) in Westerland. Ein Gespräch über schwules Leben auf Sylt und darüber hinaus.
Herr Schnabel, seit in Deutschland Schwule und Lesben ganz normal heiraten können: Müsste das Thema Homosexualität nicht mal langsam aus dem Fokus des öffentlichen Interesses verschwunden sein, von irrlichternden Scheichs am Golf mal abgesehen? Aber auch dieses Thema ist ja jetzt Geschichte.
Ich denke, in der Politik ist man da weiter als im Leistungssport. Ob Jens Spahn oder Guido Westerwelle oder Klaus Wowereit: Seit Jahrzehnten ist es in Deutschland allseits akzeptiert, dass Homosexuelle in Spitzenämtern Verantwortung tragen.
Aber im Sport ist das noch nicht der Fall, wie jüngst bei der Fußball-Weltmeisterschaft erlebt…
… Im Leistungssport gibt es schon noch Unsicherheiten, wenn es um das Thema geht. Geht es dem DFB wirklich darum, die sexuelle Orientierung der Fußballerinnen und Fußballer vorurteilsfrei zu akzeptieren und vor allem zu unterstützen? Fakt ist, dass es Fußballer und Fußballerinnen gibt, die sich scheuen, ihr Schwul- oder Lesbischsein offen zu leben.
Außer Thomas Hitzlsperger sind noch nicht viele Profisportler diesen Weg gegangen…
… Eben. Wenn man davon ausgeht, dass, statistisch gesehen, etwa fünf bis sieben Prozent aller Männer homosexuell sind, müsste es nahezu in jedem Bundesliga- oder Zweitliga-Kader einen Schwulen geben. Daran sieht man dann doch, dass der Weg von Thomas Hitzlsperger – quantitativ gesehen – noch nicht der Normalfall ist.
Ich möchte gerne mit Ihnen über die Entwicklung von schwulem Leben auf Sylt ins Gespräch kommen. Sie sind 2004 aus Düsseldorf hierher nach Sylt gezogen, waren in der nordrhein-westfälischen Landeshauptstadt zuletzt Schulleiter an einer kaufmännischen Schule. Sie leben seit 2003 in einer eingetragenen Lebenspartnerschaft mit ihrem Mann Hans Spors und haben ihn im Oktober 2017 geheiratet. Sie waren jahrelang im Lesben- und Schwulenverband Deutschland für den Landesverband Schleswig-Holstein aktiv, waren lange einer seiner Sprecher. Heute engagieren Sie sich im Förderverein der Sylt Bibliothek und sind Mitglied der Sylter SPD. Wann und wie haben Sie die Insel als schwuler Mann kennengelernt?
Ich kam in den 80-er Jahren mit meinem damaligen Mann das erste Mal nach Sylt. Das Ziel für Schwule außerhalb von Großstädten wie Köln, Hamburg oder Berlin war damals Sylt.
Wie haben Sie damals die Insel erlebt?
Ich war das erste Mal über Ostern hier. Hier gab es Hotels für schwule Gäste und Kneipen wie das ,Ringelspiel‘ oder das ,KC‘, wo sich überwiegend Schwule trafen. Man hat sich damals in Kneipen getroffen und Partner kennengelernt. Aber von dieser Sorte Kneipen gibt es nicht mehr so viele auf Sylt wie in den 80-er und 90-er Jahren.
Woran liegt das?
Die jungen Leute finden heute Kontakt übers Internet. Und die Pandemie hat in den vergangenen Jahren sicher auch ihren Teil dazu beigetragen.
Wo hat man sich noch getroffen als Schwuler auf Sylt?
Der Strandabschnitt Oase zur Sonne war ein schwuler Strand. Das ist er teilweise heute noch. In den 80-er, 90-er Jahren war Sylt auf jeden Fall ein schwules Urlaubsziel außerhalb der Großstädte. Und die Sylter waren liberal eingestellt.
Hat sich das in den vergangenen Jahren gewandelt?
Auf Sylt muss man sich auch heute nicht eingeschränkt fühlen, wenn man offen schwul oder lesbisch lebt. Die lokale Sylter Ebene halte ich für unproblematisch. Aber die Szene und die entsprechenden Angebote – das ist sicher nicht mehr so ausgeprägt wie noch vor 20 Jahren.
Gibt es anderswo größere Probleme für Schwule und Lesben in Deutschland?
Im Sommer ist beim CSD in Münster ein Trans-Mann brutal zusammengeschlagen und getötet worden. Häufig werden Mahnmale für die schwulen und lesbischen Opfer des Nationalsozialismus beschmiert und beschädigt, zum Beispiel in Berlin oder in Köln. Solche Ereignisse sind schlimm – und natürlich beschäftigt uns das.
Geht es denn aus Ihrer Sicht trotz der Gewalt gegen Sachen oder Personen generell in Richtung Normalität für Schwule und Lesben in Deutschland?
Ich bin sicher, dass die Gleichstellung von Lesben und Schwulen in den Köpfen vieler Menschen noch nicht angekommen ist. Das kann man nicht verordnen, da ist noch viel zu tun, und das dauert. Im rechtlichen Bereich ist sehr viel passiert, da fehlen nur noch das Adoptions- und das Abstammungsrecht. Ich würde also nicht sagen, das ist jetzt gelaufen für uns hin zur Normalität. Aber wir sind auf dem Weg dorthin, das ist erfreulich.
Geschrieben von: Heiko Wiegand / veröffentlicht am: 27.12.2022