„Mit Haltung und Handschuhen“
Schul-(Street)worker am Schulzentrum Sylt

Westerland. Was als klassisches Bewerbungsgespräch begann, wurde zur kleinen pädagogischen Revolution: Die Geschichte der ersten Schul-Streetworker-Stelle auf Sylt zeigt, wie mutige Ideen, ein gutes Gespür – und ein starker Impuls aus dem Schulverband Sylt – etwas ganz Neues entstehen lassen können.
Im Sommer 2024 saß Christian Görisch-Kabus, Diplom-Sportwissenschaftler, Anti-Aggressivitäts-Trainer und Boxcoach, ursprünglich zu einem Vorstellungsgespräch für eine reguläre sozialpädagogische Stelle auf Sylt. Doch schon nach wenigen Minuten war allen Beteiligten klar: Hier sitzt kein klassischer Sozialpädagoge – was Görisch-Kabus auch gar nicht ist –, sondern jemand mit dem Potenzial, eine völlig neue Form der Jugendarbeit am Schulzentrum Sylt zu etablieren.
Die Initialzündung kam vom Schulverband Sylt.
Raphael Ipsen, Schulverbandsvorsteher und Vorsitzender des Schulvereins Sylt, war maßgeblich an der Entstehung der neuen Position beteiligt. Gemeinsam mit Norbert Petersen, dem Leiter des Fachdienstes Personal und Organisation der Inselverwaltung, entwickelte Ipsen die Idee weiter. „Wir haben in Christian Görisch-Kabus nicht nur einen erfahrenen Fachmann gesehen – sondern jemanden, der anpackt, bevor es überhaupt zum Konflikt kommt“, so Ipsen rückblickend.
Görisch-Kabus besetzt die wichtige Schnittstelle zwischen Schulsozialarbeit und Schulalltag. Sein Arbeitsfeld ist dort, wo das Schulleben stattfindet: auf dem Pausenhof, in den Fluren – und wenn nötig auch im Klassenzimmer. Sein Ziel ist es, Konflikte gar nicht erst entstehen zu lassen.
Eine mutige Entscheidung – und eine, die sich bereits als goldrichtig erwiesen hat.
Ein Klassenzimmer mit Boxring – aber ohne Gewalt.
Heute ist Christian Görisch-Kabus der erste Schul-Streetworker auf Sylt – und ein fester Bestandteil des Schulzentrums. In einem eigens dafür eingerichteten Raum, ausgestattet mit einem Boxring, arbeitet er mit Jugendlichen, die in traditionellen Strukturen oft untergehen. Doch was auf den ersten Blick wie ein rein sportlicher Ansatz aussieht, ist viel mehr: Es geht um Werte, Disziplin, Respekt, Selbstreflexion – und vor allem um Beziehung.
„Boxen ist nur der Einstieg“, sagt Görisch-Kabus. „Es geht um Prävention, nicht um Strafe. Um Bildung, nicht um Kontrolle.“ Seine Methode hat sich bewährt: In über 90 Hamburger Schulen wurde sein Konzept bereits erfolgreich umgesetzt. Wissenschaftliche Studien der Universitäten Hamburg und Kassel belegen die nachhaltige Wirkung: Teilnehmende Jugendliche zeigen deutlich mehr Selbstkontrolle, weniger Gewaltbereitschaft und eine stärkere Bindung zur Schule.
Gewaltprävention beginnt mit Beziehung.
Für Görisch-Kabus steht fest: „Gewaltprävention funktioniert nur durch Integration. Und Integration funktioniert nur durch Bildung.“ Der Beziehungsaufbau steht deshalb im Zentrum seiner Arbeit – nicht die Sanktion. Gespräche, Selbstreflexion und Bewegung sind seine Werkzeuge. Der Boxring wird dabei zum Symbolraum: Hier spüren die Jugendlichen sich selbst, lernen, mit Regeln umzugehen, durchzuhalten – und Verantwortung für sich und andere zu übernehmen.
Nicht nur die Jugendlichen profitieren.
Auch die Lehrkräfte sind Teil des Konzepts. Viele von ihnen seien zunehmend belastet und im Umgang mit herausfordernden Schülern oft auf sich allein gestellt. Görisch-Kabus versteht sich daher nicht nur als Ansprechpartner für die Jugendlichen, sondern auch als unterstützender Partner für das pädagogische Personal.
Ein neues Kapitel auf Sylt.
Die Einführung der Schul-Streetworker-Stelle ist ein gelungenes Beispiel für innovative Bildungsarbeit und neue Wege in der Prävention. Was mit einer mutigen Idee begann, wurde durch das entschlossene Handeln des Schulverbandes Sylt Wirklichkeit – und zeigt, was möglich ist, wenn man bereit ist, umzudenken.
Raphael Ipsens Impuls hat ein Projekt ins Leben gerufen, das nicht nur einzelne Jugendliche erreicht, sondern das gesamte schulische Miteinander stärkt.
„Es passte einfach wie die Faust aufs Auge“, sagen heute viele Beteiligte – und meinen damit nicht den Boxring, sondern die richtige Entscheidung zur richtigen Zeit.
Geschrieben von: Redaktion / veröffentlicht am: 05.04.2025